Geisterbahn

Geisterbahn. Tagebuch mit Toten. Roman

Montag, 17. September 2007 – Zwanziguhr, achtzehnkommaeins. Regen.

Ab morgen kein Internet mehr. Die Geisterbahn steht still. Später irgendwann dran denken, die Frage nach dem chilenischen Restaurant zu beantworten. Man könnte es aber auch in der charmanten Charlottenburger Krimibuchhandlung “Miss Marple” erfragen …

Und wer ist tot? Mir mal egal …

Montag, 10. September 2007 – Fünfuhrzwölf, dreizehn Grad. Dunkel. Frisch. Seit zweieinhalb Stunden wach.

Zur Versteigerung steht ein Tempera-Bild von Eduard Baudrexel, dem Erfinder der untoten Nivea-Menschen. Der Kommentar des Verkäufers:

Welcher “richtige Mann” würde sich nicht glücklich schätzen, eine solch hübsche junge Frau in seinem trauten Heim zu wissen, die vielleicht in einem Kochbuch liest, um ein köstliches Abendessen für ihn zuzubereiten?

Zu Zeiten gab es kluge Freundinnen, die einen solchen Satz mit einem knappen “Schwanz ab!” kommentiert hätten.

Zweiter Todestag von Erich Kuby.

Sonntag, 9. September 2007 – Sechsuhrzwölf, fünfzehnkommaeins. Dunkel. Kühl.

Und? Wie hast du geschlafen?
Wie ein rohes Ei. Und du?
Wie ein zweischneidiges Schwert.
Ja, lustig.

Im Frankfurter Westend ist am Freitagabend ein 42-jähriger Rabbiner von einem arabisch sprechenden Mann durch einen Messerstich in den Bauch schwer verletzt worden. Das Opfer befand sich in Begleitung zweier Männer, der Täter in Begleitung zweier Frauen.

Tot ist Henri Toulouse-Lautrec.

Freitag, 7. September 2007 – Achtuhrsechsundfünfzig, fünfzehnkommaein Grad. Bedeckt. Trübe.

Habe mich gestern in einem beispiellosen Autodafé des größten Teils meiner Vergangenheit entledigt, dabei Fotos, Briefe, Zeichnungen, Dokumente, Notizen, Tagebücher aus mehr als fünfunddreißig Jahren vernichtet. Der Rest dieses Lebens passt in einen Schuhkarton. Große Erleichterung. Mal sehen, wie lange dieser Glücksrausch der Destruktion anhält.

In Sachsen hat die NPD bei Umfragen bereits die SPD überholt. Könnte man sich doch lossagen von diesem Volk …

Toter des Tages: Paul Zech.

Montag, 3. September 2007 – Vieruhracht, sechzehnkommasechs Grad. Seit einer Stunde wach. Immer noch zu viel Arbeit, um zu schlafen. Ziemlich hell draußen. Vollmond?

Da hebt man mal wieder das Haupt – und sieht: nichts Angenehmes.

Gestern haben in Dortmund 15 Neonazis eine Gaststätte überfallen.

Ein 18 und ein 19 Jahre alter Mann haben am Wochenende in Hannover einen Obdachlosen schwer misshandelt. Sie kippten ihn von seiner Bank, traten auf den Wehrlosen ein, sprangen auf ihm herum, urinierten auf ihn und zogen ihn aus. Auf dem Handy eines der Angreifer fanden sich Aufnahmen einer ähnlichen Attacke, die sich wahrscheinlich am 13. August ereignet hat. Es wurde kein Haftbefehl erlassen.

Wer wollte bestreiten, dass die Globalisierung neben den wahnsinnigen auch ihre komischen Aspekte hat:

“WELTWEITE BERÜHMTE Weinlesekunst DES ÖL-ANSTRICHES REP
100% Hand gemalt vom Künstler,
Es ist Öl auf Segeltuch;
Dieses ist NICHT ein Druckplakat oder -übertragung.
Es ist eine reale Hand, die Anstrich gebildet wird
Der Anstrich ist UNSTRETCHED
wir sind ein fachkundiger HERSTELLER, der an handmade Geldstrafe Ölanstrichen teilnimmt. Wir werden innen dafen Dorf Shenzhen lokalisiert, das das Nr. 1 des Ölanstrichdorfs der Welt ist. Wir beauftragen über 100 Künstlern, um feines Öl auf Segeltuchanstrichen zu malen. Viele der Ölfarbekünstler haben 10-20 Jahre ganztägig Funktion Erfahrung, ist unser Produkt handmade Farbe 100% auf dem canvas.we haben die Fähigkeit, Ihnen das schöne anzubieten und kosteneffektive Ölanstriche und schnelle Anlieferung Qualität wird vom älteren Maler mit sehr reichlich vorhandener Erfahrung überwacht, also schicken wir die meisten hochwertigen Produkte zu Ihren Händen, die ausgezeichnete Ölfarbe-Überwachung Mannschaft können Sie völlig überzeugt bilden in unserem Produkt.”

Was gäbe man dafür, vorstehenden Text von Michi Herl mit chinesischem Akzent gelesen zu hören?!

Am 3. September 1991 starb Falk Harnack (Foto), Widerstandskämpfer, Mitbegründer des Nationalkomitee Freies Deutschland, Regisseur, Drehbuchautor, ZDF-Redakteur – beerdigt auf dem Friedhof Zehlendorf.