Geisterbahn

 

Mittwoch, 30. Januar 2008 – Sechsuhreinundzwanzig, einskommaacht. Kommt mir wärmer vor. 

Meine Güte, was für eine Liste das gestern war. Und höchstens die Hälfte davon geschafft. Morgens in den HR zu einem guten Gespräch mit Ulrike Schneiberg für Mikado. Dann auf den Rewe-Parkplatz, rasch zu Saturn, um den Asus eeePC zu kaufen. Aber nee, der ist ausverkauft, können Sie vorbestellen, Lieferzeit wahrscheinlich vier Wochen. Na toll, und heute beginnt die Lesereise … Ich muss im Zug arbeiten … Einkauf, nach Hause, Telefon, Briefe, Lesefassung überarbeiten … Und immer weiter kommen Mails, die sich längst erledigt haben, weil sie bereits vor Wochen abgeschickt wurden …

Trauriger Brief von E., von dem ich seit vielen Jahren nichts gehört hatte und der nun schreibt, dass er keine Arbeit habe und nur 400 Euro im Monat zum Leben. Seine Tochter wolle  in den USA ein Geschäft aufbauen, und nun hoffe er, dass sie ihn nachholen werde …

Stefan von Dornbusch hat Recht: Jane Campion lebt; Janet Frame war gestern tot. 

Dienstag, 29. Januar 2008 – Siebenuhr, sechskommafünf. Fühlt sich kälter an. Dunkel.

Tot ist Jane Campion.
 

Montag, 28. Januar 2008 – Neunuhrdreißig, siebenkommavier Grad. Bedeckt.

Gestern Morgen gleich aufs Rad. Mache einen Schlenker durch Preungesheim und finde nach langem Suchen das Reihenhaus, in dem vorige Woche der Mord geschehen ist – Am Lausberg 8. Das rotweiße Band der Polizeiabsperrung hängt noch. Die Rollläden sind herunter gelassen. Paar Jogger traben vorbei, Hunde werden ausgeführt, die nahe Autobahn lärmt … 

Nachmittags ins Wahllokal, dann zur Finissage der Leipziger Maler ins Giersch. Ist mir das liebste unter den Frankfurter Museen. Gleich in den dritten Stock, wo die Sachen von Triegel hängen. Erster Impuls: So geht’s nicht! So klassizistisch, so gestrig, so bloß virtuos, so ganz und gar unberührt von jeder Moderne … Auch Mattheuers naiv-plakative, schwermütig-bunte Luftballon-Träumereien wollen mir nichts mehr sagen. Und Tübke? Wunderschön sein hochmütiges Selbstporträt. Aber sonst – diese Rückwendungen, diese Fluchten in den Manierismus … dieses Kleinklein in den großen Würfen. Langeweile. 

Abends schwer vor dem Fernseher. Die Politiker marschieren auf mit Gesichtern, die von der Niederlage oder vom Triumph versehrt sind. Beides gleichermaßen unschön anzuschauen.

Um Punkt 22 Uhr Max Hüntens “Große Winterlandschaft” ersteigert. 

Tot ist Arnold Hauser.


 
Sonntag, 27. Januar 2008 – 
Siebenuhrsechs, vierkommadrei Grad. Noch dunkel.

Gestern ganzen Tag mit dem Fernsehteam unterwegs, dauernd mit dem schwarzen Stevens dicht neben dem Auto her, wo der Kameramann umgekehrt auf der Beifahrerseite liegt, den Kopf auf dem Amarturenbrett, die besockten Füße auf dem Rücksitz, und dabei die Kamera aus dem Fenster hält … Zum Weißen Haus in der Günthersburgallee, zum Neuen Portikus auf der Alten Brücke, lange ans Mainufer, dann in die Kaiserstraße vor das Yuan Fa. Am Ende noch über die Autobahn bis Ober-Mörlen, Ziegenberg, Wiesental, wo an dem Haus über dem ehemaligen Bunker tatsächlich ein handgeschriebenes Schild hängt: “Hier ist nicht Adlerhorst”. 

Am Abend lange mit Ati wegen des Mailprogramms telefoniert und hinterher ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn vom Mischen seiner Songs abgehalten habe. Dann “Chungking Express”, aber eingeschlafen.

Wie ich mich auf den Nachmittag freue, auf die Ausstellung im “Giersch” – Gucken, gucken, gucken!

Heute vor acht Jahren starb Friedrich Gulda.

   

Samstag, 26. Januar 2008 – Siebenuhrdrei, vierkommaeins. Dunkel.

K. ruft an, macht mich aufmerksam auf einen Eintrag in Ludger Menkes Krimiblog, dort sei verwiesen auf das Tagebuch von Anne Chaplet, die schon wieder über mich … Aber … muss man mir das alles apportieren? Muss ich das wirklich alles zur Kenntnis nehmen …?

Gestern Morgen ins Gallus. Dunkel. Dauernd aus dem Wagen raus geknipst. Eine Stunde lang Live-Sendung bei Radio MainFM. Wie laut der Moderator lacht, als ich sage, dass das Schreiben eine ziemlich einsame, also asoziale Angelegenheit sei. So, als sei es ihm peinlich, dass nun dieses Wort über den Sender gegangen ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verdammt, jetzt geht die neue Mailadresse auch schon wieder nicht mehr … fordert mich dauernd auf, das Passwort einzugeben, nimmt es aber nicht an.  Ich fummele in den Einstellungen rum, mache alles nur noch schlimmer. Nee, jetzt geht gar nichts mehr … Was für ein Rotz …

Was noch gefehlt hat: Lesben und Schwule für Roland Koch. Mein Gott, ja, es ist wirklich auf niemanden mehr Verlass. Und diese hier kommen mir vor, wie jene Indianer, die sich in ein Uncle-Sam-Kostüm haben stecken lassen und zur Gaudi ihrer Peiniger am Nasenring über die amerikanischen Jahrmärkte geführt wurden.

Abends Pasolinis “Große Vögel, kleine Vögel”. Soll eine Parabel gegen den Dogmatismus sein, ist aber selbst ungemein schematisch. Auch albern und eigentlich nicht mehr wirklich zu verstehen. Der gesungene Vorspann allerdings … Und der Tanz der heranwachsenden Jungen, ganz am Anfang … hinreißend.

Sollte man überhaupt mal machen: Eine Liste der schönsten Tanzszenen. Godards “Außenseiterbande”, Tarantinos “Pulp Fiction”, Almodovars “Sprich mit ihr” …

Tot ist Julius Patzak.

Freitag, 25. Januar 2008 – Vieruhrdreiundvierzig, zweikommadrei. Seit kurz vor vier wach. Kopf …

Vorgestern ganzen Tag an der Fassung für die Lesungen gefummelt. Am Ende: Immer noch zu lang, zu blutig, zu finster … Aber egal, jetzt muss es gehen … Auf die Autobahn, nach Gießen zu den Lischpers, mit Uwe in die Buchhandlung, signieren, dann Apotheke, wie heißen die Dinger für den Hals? Irish Moos, nee, Koranos? Islamos? Ja, so ähnlich. Handkäs essen … weiter nach Marburg ins Best Western, kaum auf dem Zimmer, klingelt das Telefon: Manfred Paulsen ruft an, dass er auf mich wartet, und wir zockeln los in Richtung TTZ, was Technologie- und Tagungszentrum heißt, und die Straße nennt sich: Softwarecenter 3. Ist aber ganz hübsch dort, und als ich Guntram sehe, geht mir das Herz auf. Und dann kommen auch noch Uli und Bernd und Tante G., die genauso lacht und sich freut wie ich und alles wird gut. Lesen. Signieren, signieren, signieren. Nachher noch munteres Ründchen mit Pizza und Wein, zu spät, zu müd, zu schluck. 

Um sieben klingelt das Telefon. Herr Altenburg, Ihr Weckruf. Ja, danke. Schnelles Frühstück, ins Auto und retour … Und auf der Rückfahrt zwischen Marburg und Gießen ist die Welt genau so, wie ich sie gerade mag: mit Hügeln und schwarzen, kahlen Bäumen, mit Zaunpfählen, Feldwegen und gelbem Gras und brauner Erde und bißchen Wassergeglitzer dazwischen. Wie von Eugen Bracht gemalt. 

Gestern Nachmittag dann aufs Rad, ganz schön kalt. Saturn Hansa. Da steht er ja, der kleine eeePC von Asus. Sogar in Weiß. Wohl gerade gekommen. Echt leicht, echt ganz solide, echt ziemlich winzig-fummelig, die Tastatur, mal sehen. Eine Frau neben mir fragt mich aus, was ich über das Ding weiß. Mich, der ich … Aber ich rede an sie ran, bis sie fragt, ob ich Provision kriege, dann sagt sie kurz entschlossen, sie will das Tussi-Ding in Pink. Und ich weiß schon, wenn ich mir wirklich einen kaufe, werde ich ihn nur noch Tussi-Ding nennen können …
Dann zu Hugendubel – Siech-Nier-Stunde. Komme die Treppe runter, der Erste, den ich sehe, ist Lothar – und gleich gehts mir gut, ich fühle mich geschützt – die Welt kann kommen. Und kommt dann auch und reichlich. Eldad sitzt ebenfalls im Publikum, lächelt zur Begrüßung, und da ist ja auch Jossi, den ich seit Jahren nicht gesehen habe und hinterher steht Anke in der Schlanke, nein, in der Schlange … Siechnieren, siechnieren, siechnieren, eine Stunde lang … AUFS RAD! NACH HAUSE!

Am 25. Januar 1907 nahm sich, nur wenige Monate nach seinem Siech bei der Tour de France, René Pottier (Foto) das Leben. 

Mittwoch, 23. Januar 2008 – Vieruhrneunundfünfzig, minuseinskommadrei, im Erdgeschoss sogar minuszweikommavier. Mit den Kursen stürzen auch die Temperaturen. 

Um drei Uhr aufgewacht, versucht, wieder einzuschlafen, ging nicht, dann lange über der Liste mit Autorennamen für die Krimi-Anthologie gegrübelt.

Heute Nacht um 1.30 Uhr ist die Mail angekommen, die Jörg gestern Morgen um 8.19 Uhr losgeschickt hat.  So geht das jetzt seit Wochen. 

In Frankfurt-Preungesheim ist vorgestern am späten Nachmittag in der Straße “Am Lausberg” ein Mann in ein neues Reihenhaus eingedrungen, hat eine 49-jährige Frau und deren 21-jährige Tochter gefesselt und beide mehrere Stunden in getrennten Räumen festgehalten. Nach 22 Uhr gelang es der Tochter sich zu befreien und über ein Dachfenster in das benachbarte Haus zu flüchten. Die sofort benachrichtigte Polizei konnte den 34-jährigen Täter noch am Tatort festnehmen. Der eintreffende Notarzt stellte den Tod der Mutter fest. Weil der Ehemann des Opfers noch nicht zu Hause war, suchte die Polizei dessen Lebensmittelgeschäft in Offenbach auf und fand dort seine Leiche. Alle Beteiligten stammten aus Afghanistan. 

Seltsames Gefühl dieser Börsencrash. Schon auch Genugtuung, dass die Seifenblasen platzen, dass der ganze Banken-Spekulations-Aktien-Irrsinn sich endlich als ein solcher offenbart. Und gleichzeitig die bange Ahnung, dass die Gewinner des Ganzen wieder die Falschen sein werden. Und die Verlierer die selben wie immer. 

Heute vor einem Jahr starb in Warschau Ryszard Kapuściński.

Dienstag, 22. Januar 2008 – Fünfuhreinundzwanzig, achtkommadrei. Beim Einschlafen und Aufwachen das Geräusch des Regens gehört.

Gestern morgen um drei Uhr aufgewacht, ganzen Tag getaumelt. Nichts geht. Immerhin zwei Bilder aufgehängt. Bisschen telefoniert. Und dauernd das lauernde Gefühl, dass noch irgendeine schlechte Nachricht kommt. Stattdessen kommt eine gute.  

Auf einer Baustelle der Kasseler Universität sind gestern zwanzig menschliche Skelette gefunden worden. 

Kurzer Blick auf bild.de und sofort das Bedürfnis, mich zu waschen. 

Tot ist Karl Ludwig Nessler, der Erfinder der Dauerwelle. 

Montag 21. Januar 2008 – Vieruhrzweiundzwanzig, zehnkommnull.

Gestern Mittag auf dem Römerberg. Alles abgesperrt, vergittert. Hunderte Polizisten, die die Ankunft von 120 “Republikanern” absichern sollen. Nur wenige Gegendemonstranten, darunter auffällig viele verwirrte Menschen. Immerhin ist auch Rupert von Plottnitz mit einer Trillerpfeife dabei. Und Micha Brumlik.  Was will eigentlich dieser freche Polizei-Communicator, der von seinen eigenen Kollegen zur Mäßigung aufgefordert werden muss? Der Mann ist die ideale Fehlbesetzung. Und ständig werden wir von der Polizei gefilmt und fotografiert. 

Am Abend das sogenannte Fernsehduell zwischen Koch und Ypsilanti. Grauenhaft. Beide ungemein primitiv. Und Koch, wie immer, wenn er in der Defensive ist, sieht aus wie ein geprügelter Schüler. 

Materialkunde auf Spiegel online: “Wenn es darauf ankommt, wünscht sich jeder Flugreisende Piloten mit Nerven aus Stahl. Genau aus diesem Holz scheinen die Piloten des notgelandeten Flugzeugs von Heathrow geschnitzt zu sein …”

Tot ist Franz Jung. Beerdigt auf dem Friedhof Stuttgart-Degerloch. 

Freitag, 18. Januar 2008 –Fünfuhrdreiundvierzig, siebenkommafünf. Man könnte glatt ins Schwitzen …

Die “Partitur des Todes” ist da.

 “The ending is the most important part of the story. And this one is very good. This one is perfect”. Johnny Depp als Mort Rainey in “The Secret Window”.

Von Michi Herl kommt eine Mail mit dem Aufruf “Bürgerinnen und Bürger gegen Roland Koch”. Freilich, wer möchte da nicht dabei sein. 

Scanner angeschlossen. Funktioniert sofort. Und gleich mal die drei Birken reingebeamt. 

Nichts gegen religiöse Menschen – so lange sie nicht versuchen, die Leute vom Denken und vom Sex abzuhalten. Und so lange sie mich nicht missionieren wollen. 

Gerade den Umschlag vom “Krimijahrbuch 2008” gesehen. Ziemlich klasse …!

Am 18. Januar 1863 wurde Mangas Coloradas, Häuptling der Bedonkohe-Apachen, ermordet. Man hatte ihn unter dem Vorwand, Friedensverhandlungen mit ihm führen zu wollen, in das Fort McLean gelockt, ihn gefangen genommen, die Füsse mit heißen Bajonetten versengt, erschossen, skalpiert, enthauptet und seinen Rumpf in einem Graben verscharrt. Es hieß, er sei auf der Flucht getötet worden. 

Mittwoch, 16. Januar 2008 – Siebenuhreinundfünfzig, achtkommaein Grad. Dunkel.

Gestern wieder in Stefans Studio in Heubach, um die Mischung von “Ein kleiner Abend Glück” fertigzustellen und abzunehmen. Um Mitternacht zu Hause. Und die Aufnahme im Bett gleich nochmal ganz durchgehört. Glücklich.

 

Und: die Canon Ixus 70 ist gekommen.

Todestag von Mildred Harnack, Literaturwissenschaftlerin, Mitglied der Roten Kapelle. Ermordet 1943 in Plötzensee.
Dienstag, 15. Januar 2008 – Zehnuhrvierundvierzig, plötzlich wieder achtkommafünf Grad. Wolken mit Blau.

Kulturzeit. Wenn ich “Vielfältigkeit” höre, bekomme ich regelmäßig Nervenzucken. Warum nicht einfach: Vielfalt?

Gestern Gezacker mit dem Netzbetreiber. Seit Freitagabend keine Mails mehr. Eine Stunde hin- und hertelefoniert. Man blafft mich an, will mich für blöd verkaufen, ich sei Schuld, mein Rechner, meine Unfähigkeit, das Programm gescheit zu konfigurieren … Dann um 14.59 Uhr ein kleinlauter Rückruf: “Ähäm. Der Fehler liegt bei uns. Wir haben Probleme mit dem Server. Lassen Sie alles, wie es war.” Mmh, ja, leicht gesagt, hab ja seit Stunden geschraubt …

Weiter in Larssons “Verblendung”. Hab mich schon festgelesen. Immerhin interessante Figuren. Das wird, das kommt in Schwung. Gewunden, redundant, aber wenigstens keine hinfälligen Witzigkeiten dieser Art: “Entschlossen ließ Kramer die Zigarette im Mundwinkel wippen: Dieser kleinen Schlampe würde er es zeigen” … und was man dergleichen noch zu lesen bekommt in sogenannten Krimis. 

Der Dachdecker Ernst Neger ist tot. 

 

Montag, 14. Januar 2008 – Fünfuhreinundfünfzig, nullkommaneun. Dunkel. 

Um zwölf Uhr mittags darf man ja wohl selbst sonntags mal zum Hörer greifen … Rufe P. an und frage, ob er Lust habe, für die erste Nummer einen Text über Suhrkamp zu schreiben. –  Nee, findet er nicht cool, sei eh schon alles gesagt, immer dieselbe Leier, das Haus S. verliere zunehmend an Bedeutung, nicht gerade dramatisch, aber langsam, schleichend, sei halt nicht mehr wirklich sexy, werde irgendwann einfach ein ganz normaler Verlag wie zig andere auch. – Okay, sage ich, dann schreib doch einen offenen Brief an die Verlegerin: “Der kurze Brief zum langen Abschied”. – Ja, nee, hin und her. Nee! – Also, was stattdessen? Vielleicht irgendeine Geschichte über die FAZ als Meinungsmaschine? – Mmmh, ja, schon besser. Aber nach dem Genom-Coup habe eigentlich keine von Frank Schirrmachers Kampagnen mehr wirklich gezündet, jetzt fliege der halt nach LA, um Tom Cruise zu treffen, echt gähn. – Gut, sage ich, also schreibst du: “Frankie goes to Hollywood”.  – Ja, lustig, nee, gab’s wahrscheinlich auch schon. – Na dann. – Tja, na dann. Wird sowieso zu viel geschrieben …  

Heute vor drei Jahren wurde Rudolph Moshammer ermordet. Sein Hund Daisy hat ihn um ein Jahr, neun Monate und zehn Tage überlebt. 

Samstag, 12. Januar 2008 –
Sechsuhrfünfundzwanzig, siebenkommafünf Grad. Um halbvier aufgewacht. Was ist denn das für’n Wind da draußen? Kopfschmerzen, Cappuchino, Aspirin, wieder ins Bett. Mit Kopfhörer Paolo Pandolfos “Improvisando”. Wenn es das absolute Instrument gibt, dann ist es die Viola da Gamba – na ja, jedenfalls für mich, jedenfalls im Moment. Dazu den Anfang von Stieg Larssons “Verblendung.” Geht ziemlich umständlich los, soll aber was sein.

Gestern in der Grillparzerstraße erste Redaktionssitzung von Nullsechsneun. Hoffentlich wird das lässig, hoffentlich lassen die mich machen. Hoffentlich werden da keine Rücksichten genommen auf Sponsoren, Anzeigenkunden, sonstige Geldgeber … Wenn ich schon Gernhardt höre … – “Wieso, haben Sie etwa was gegen Gernhardt?” – Hilfe, nein, ich will gar nicht drüber reden. Aber die Welt wird es ja wohl noch aushalten, wenn es einen gibt, der nicht gleich vor Ehrfurcht in die Knie geht … Aber lustig, wie da so Namen in den Raum geworfen werden, wie dann die Gesichter gescannt, die Reaktionen gecheckt werden … “Hat jemand was gegen Bodo Kirchhoff? Wollen wir Eva Demski fragen? Und wie heißt noch mal die Krimiautorin mit der Perücke?” 
 
Warum nur bin ich so ausdauernd scharf auf eine von diesen kleinen Digicams? Um nicht mehr reden, nicht mehr schreiben zu müssen? Einfach nur noch sagen: Guck mal da! Und da und da und da! Ohne Worte. Endlich! Wahrscheinlich eine Berufskrankheit. 
“Die Werke der Malerei nämlich stehen da, als wären sie lebendig; fragst du sie aber etwas, so schweigen sie in aller Majestät”. (Platon) 

Sonne des Tages: Eine überaus nette Mail aus dem Frankfurter Volkstheater von Gisela Dahlem-Christ.

Gekommen: Der dicke Band mit den Dix-Porträts. Simenons “Maigret bei den Flamen”. 

Heute vor dreißig Jahren starb Henri-Georges Clouzot.

Donnerstag. 10. Januar 2008 – Siebenuhrsiebenundvierzig, vierkommasieben Grad. Erste Dämmerung.

Das Jahr hat in Hochgeschwindigkeit begonnen … mit dem schnellen ICE nach Paris, dort 3 Tage Frühling – Place Nadaud, Belleville, Montparnasse, Musée d’Orsay, Barbès, Montmartre  … dann mit Atilla zwei Tage ins Studio nach Heubach, um endlich “Ein kleiner Abend Glück” aufzunehmen … Gleichzeitig ist die Maschine für “Partitur des Todes” angelaufen, und ich ducke mich weg unter den in Abwesenheit eingegangenen Anrufen, Mails und Briefen, stelle mich tot … Gibt so Zeiten. 

Und gibt ja auch die anderen, wenn sich wieder alles verlaufen hat und um einen herum nur Schweigen herrscht … 

Was nun? Kauf ich die Canon Ixus 70?

Todestag hat Georg Forster. 

Freitag, 4. Januar 2008 – Siebzehnuhrachtundzwanzig, einskommadrei Grad. War ein sonniger Tag. Schon dunkel. 

Wird eigentlich in diesem Land irgendwann einmal eine Zeit kommen, wo solch Niederträchtige wie der derzeitige hessische Ministerpräsident einfach ausgelacht werden …?

Hochmut der Sportler. Dieses süffisante Schweigen, wenn ein Dicker … Bei Gelegenheit mal ausführen …

Immer wieder versuchen Kunstkritiker, uns die Werke der so genannten Alten Meister nahe zu bringen durch Formulierungen wie: “… wenn man bedenkt, was das für die damalige Zeit bedeutete …” So, als seien die je Heutigen immer schon – nicht nur in einem chronologischen, sondern dadurch automatisch und  auf jeden Fall auch in einem qualitativen Sinne: fortgeschritten. 
Aber was sagt es über uns, wenn man meint, eine Ausstellung wie die der Werke von Lucas Cranach d.Ä. im Frankfurter Städel dadurch anpreisen zu müssen, dass man den Künstler als “Erotiker”, als “Pornografen”, als “Ersten Pin-Up Maler der Kunstgeschichte” bezeichnet? Was ja übersetzt heißt: “Cranach ist deshalb gut und genießbar, nicht, weil er Kunst produziert hat, sondern im Gegenteil, weil er den trivialen Bedürfnissen Futter gegeben hat.”

Lektüre: Reich-Ranicki “Mein Leben” und Michael Connelly “The Overlook”.

Er war Zauberer in einem Wanderzirkus, Hotelpage, Vertreter, Schaufensterdekorateur, Stepptänzer, Maler, Fernsehunterhalter. Und ist heute vor 28 Jahren gestorben: Peter Frankenfeld. 

 

Mittwoch 2. Januar 2008 – Vieruhrneununddreißig, minuseinskommaneun. Die Welt ist kalt und dunkel.

Vorgestern Runde durch die Wetterau. Nichts weiter. Dann zwischen Okarben und Kloppenheim an der allerödesten Kreuzung ein kleiner Sonnenaufgang: An der Ampel steht Flo, der Riese, mit seinem Rad, erkennt mich erst nicht, dann aber doch – Mensch, wie lange ist das her? – und mitten auf der Straße datteln wir uns so zusammen, fahren munter plaudernd, aber unterbrochen vom gelegentlichen Hupen der PS-Idioten, noch ein Stück bis in die Vilbeler Senke und wünschen uns, was man sich wünscht am Ende des Jahres. Wie man sich freuen kann, wenn man so unverhofft jemanden trifft …

Abends Jürgen abgeholt, gemeinsam an den Zoo. Nee, aber nicht zu den Ü-30-Krachern, sondern zu Charlotte, wo dann die netteste Mitmachparty steigt, wo es Bettys marrokanische Kaasnudeln gibt und Carsten, glücklichbetrunken wie nur einer, aber vollkommen unpeinlich ein paar Popsongs ins Mikrofon … 

Gestern Morgen schwerer Kopf. Aufs Rad. Leere Straßen. Welt im Nebel. Immer wieder Taxis und Polizeiwagen. Wenig Leute, paar Hundebesitzer. Der Asphalt nass, überall auf den Wegen leere Sektflaschen, Scherben, der rote Schmier der geplatzten Feuerwerkskörper … Schwere Vögel, nasse Wiesen, Bettzeug in den Fenstern, an den Bäumen leuchtet das Moos. 

Vor siebenundsechzig Jahren starb unter bis heute ungeklärten Umständen im Gefängnis von Lörrach der Kölner Radrennfahrer Albert Richter (Foto), Sprintweltmeister der Amateure von 1932. Er hatte am 31. Dezember 1939 seine Sachen gepackt, um samt Rad und Skiern in die Schweiz zu reisen. Mit sich führte er 12.700 Reichsmark, die in den Reifen seines Rennrads eingenäht waren. Er schuldete das Geld seinem jüdischen Freund Alfred Schweizer, der ihm dringend von diesem Schmuggel abriet. An der Grenze wurde Richter kontrolliert, man schnitt – wohl aufgrund einer Denunziation – seine Reifen auf und fand das Geld. Als ihn sein Bruder zwei Tage später im Gefängnis von Lörrach besuchen wollte, führte man ihn in den Totenkeller, wo die Leiche Richters mit durchlöcherter und blutverschmierter Kleidung lag. Offizielle Todesursache: Selbstmord durch Erhängen. Albert Richters Grab befindet sich auf Feld E8 des Kölner Melaten-Friedhofs.