Geisterbahn

Geisterbahn. Tagebuch mit Toten. Roman

Sonntag, 31. Dezember 2006 – Sechsuhrsiebenundvierzig, neunkommasechs. Sehr windig.

Fernsehnachrichten: Man hat das Gefühl, dass die Redakteure Mühe haben, nicht die ganze Hinrichtung Saddam Husseins zu zeigen.

Ch: “Ich bin wirklich froh, in einem Land zu leben, das immerhin so zivilisiert ist, dass es die Todesstrafe abgeschafft hat.”

Gestern die Piazzolla-DVD. Was für ein unangenehmer, grundeitler Egomane dieser Mann war. Es gab wohl Leute, die ihn – unglücklich – geliebt haben; aber gemocht, so scheint es, hat ihn niemand. Aber bei fast jedem seiner Stücke gehe ich in die Knie.

Niemand ist so verlogen wie künftige Schwiegersöhne und Schwiegertöchter.

“Kannst du nicht wenigstens an Silvester mal was Nettes schreiben?”

Tot ist Gustave Courbet.

Samstag, 30. Dezember 2006 – Fünfuhrvierundvierzig, zweikommaein Grad.Alles finster.

Aufgewacht, als Saddam Hussein gehängt wurde. Um 4 Uhr MEZ.

Im Traum erhalte ich eine Trauerkarte von K., der mitteilt, dass seine Frau gestorben ist. Ich lese den Text und lasse die Hand sinken. Aber statt der Karte ist es nun die tote Frau selbst, die mir entgleitet und auf den Boden rutscht.

Warum verkaufen die Leute diese Möbel, die doch erst drei Jahre alt und noch wie neu sind? Jürgen: “Weil sie ihrer bereits überdrüssig sind. Weil es ihr größter Spaß ist, immer etwas noch Neueres zu kaufen.” Und wenn auch das nichts mehr hilft? Besuchen sie Swingerclubs. Wenn die Swingerclubs langweilig geworden sind? Lassen sie sich scheiden. Wenn es ihnen dadurch auch nicht besser geht? Lassen sie sich liften. Und wenn sie auch dadurch nicht glücklicher werden? Bringen sie sich um. – Ja, kann sein. Ist vielleicht auch besser so.

Ein offenes Fenster von außen, aber die Gardine ist vorgezogen. Dann wird der Vorhang geöffnet. Ein Mann schaut heraus, sieht erschrocken, dass er beobachtet wird, zieht sich rasch wieder zurück und lugt einen Augenblick später noch einmal hervor.

Tot sind Rasputin, Sonny Liston und Heiner Müller.

Freitag, 29. Dezember 2006 – Viehruhrneunzehn, dreikommasieben. Schon wieder so eine helle Nacht. Drüben in drei Wohnungen Lichter.

Im Traum komme ich nach vielen Jahren zurück in dieses kleine Dorf. Alle, die schon tot sind, leben noch. Aber ihre Kinder, die bei meinem letzten Besuch noch nicht geboren waren, sind nun schon fast erwachsen. Und singen die Lieder von Boney M.

Gestern im Königsberger Bad. Starre eine Weile wie gebannt an die verspiegelte Decke des Schwimmbeckens. Unbedingt aufnehmen! Vielleicht auch draußen die Uhr in den Dampfschwaden. Die Ruine. Seltsame Gesichter. Beschlagene dicke Brillen. Rüschige weiße Badekappen.

Erst nur das leere Becken im Spiegel. Dann durchquert eine Frau brustschwimmend das Bild. Kurz darauf aus der anderen Richtung; jetzt auf dem Rücken. Wieder das leere Becken. Dann ein Kind, wie vor ihr fliehend, mit hastigen Bewegungen.

Diese bewußtlos wohligen Laute, dieser glasige Blick, wenn alles auf körperliche Annehmlichkeiten konzentriert ist. Grenzt an Idiotie.

Dreitausend kommen um, als die deutsche Luftwaffe am 29. Dezember 1940 London bombardiert.

Donnerstag, 28. Dezember 2006 – Vieruhrdreiundvierzig, einskommafünf. Seit einer Stunde wach. So merkwürdig hell draußen.

In Texas hat ein neunjähriger Junge ein zweijähriges Mädchen erstochen.

Der Film:
Callcenter
Witze erzählen
Mädchen mit Zahnspange
Beim Friseur / Hundefriseur
Menschen erklären etwas
Veronika Fischer – Schlager / Schlagerwettbewerb –Tino ???
Im Hintergrund berühmte Zeitungsbilder / Schlagzeilen
Jemand übt immer wieder den gleichen fremdsprachigen Satz
Auf dem Balkon / auf dem Dach
Seltsame Geräte werden erklärt (Sextoys?)
Peinlichkeiten / peinlichstes Erlebnis
Plakate / Plakatwände / Schaufenster
Dessousabteilung / Umkleidekabinen / Mann wartet / peinlich
Wasserkuppe, Andenkenladen. Bronzeadler : Wellensittiche

Am Heiligabend in der Kirche. Wir sitzen neben einer Glasvitrine, in der Kerzen ausgestellt sind: “Diese Kerzen wurden von unseren Behinderten im Tagesstrukturierungsbereich gefertigt.” Ich glaub’s nicht: Tagesstrukturierungsbereich … Kein Wunder, dass das Korrekturprogramm sich wehrt.

Heute ist mal niemand tot; heute hat mal Denzel Washington Geburtstag.

Mittwoch, 27. Dezember 2006 – Dreizehnuhrsechsundzwanzig, einskommafünf. Trübe, bedeckt. Bisschen Schnee.

Gestern eine Stunde Lauf, Günthersburgpark, Huthpark … Schwerfällig.

Mittags im Städel. Gleich an der Kasse Streit. “Gärten”. Ein paar Liebermänner. Ein schöner, lichter Beckmann. Nach Jahren auch mal wieder bei den alten Meistern. Vergesse immer wieder, wie reich die Sammlung ist. Draussen stahlblauer Himmel.

Dann zu Hause in der dicken Truffaut-Biografie den Streit zwischen Godard und Truffaut nachgelesen. Im Mai 1973, nachdem er La Nuit Américaine gesehen hat, schreibt Godard einen Brief an Truffaut, in dem er ihn wüst beschimpft und zugleich um Geld bittet. Ekelhaft. Bin ganz auf Truffauts Seite. Schon damals wirkt Godard ideologisch vernagelt, hochmütig, maoistisch. Truffaut schreibt eine lange, verbitterte Replik.

Abends Gosford-Park. Darüber eingeschlafen.

Tot sind: Max Beckmann, Hal Ashby, Hans Blickensdörfer.

Dienstag, 26.Dezember 2006 – Fünfuhrsiebenundfünfzig, dreikommadrei. Alles dunkel.

Gestern am Morgen machen wir einen Gang über die Wasserkuppe. Die Sonne scheint. Der Himmel ist blau. An windgeschützten Stellen ist es sogar warm. Weiter Blick über die Rhön. In den Tälern hängt Nebel. Im Andenkenladen: Kruzifixe, Patronen, Plastikpanzer, Totenköpfe, Trachtenhüte aus Filz.
Über die mit schwarzen Maulwurfshügeln übersäte Wiese stolpern wir zu dem blöden Riesenadler, dem „Urbild aller nationalsozialistischen Adler“. Am 30. August 1923 waren 100.000 Menschen zur Einweihung dieses Denkmals für die toten Jagdflieger des 1.Weltkrieges gekommen. Unter den Ehrengästen: Tirpitz, Ludendorff, Luckner, Freifrau von Richthofen. Auf der Vorderseite prangt eine Bronzetafel: „Wir toten Flieger blieben Sieger durch uns allein. Volk, flieg du wieder und du wirst Sieger durch dich allein.”
Nach dem 2.Weltkrieg hielt man eine Restaurierung der Figur für notwendig. Man montierte sie ab und brachte sie nach Fulda, wo die Firma Pfeifer 68 Durchschüsse feststellte. Der Adler war zur Zielscheibe der alliierten Soldaten geworden. An jedem 2. Sonntag im August findet an dieser Stelle eine Gedenkveranstaltung statt.

Monolog aus dem Off: Es gibt Menschen, die führen ein Wegwerfleben: alles im Vorbeigehen, unverbindlich, im Stehen, zwischen Tür und Angel. Sie entfachen ein Feuer, aber wenn es groß genug ist, dass sie sich daran wärmen könnten, suchen sie das Weite. Sie verlieben sich leidenschaftlich und halten es nicht aus, wenn die Leidenschaft erwidert wird. Sie besuchen eine Party, aber sind eigentlich schon wieder weg. Sie hassen und lieben, aber meinen es dann doch nicht so. Sie nennen jemanden Freund und haben seinen Namen bei nächster Gelegenheit vergessen. Sie beziehen alles auf sich, und können sich doch nicht leiden … Alles Fastfood. Sie schauen dich mit großen Schauspieleraugen an, lächeln, demonstrieren ihre Präsenz, zeigen, dass sie ganz bei Dir sind. Aber im nächsten Moment erlöschen sie vollständig. Zurück bleiben zwei kleine Häufchen Asche.

Und?
Was und?
Nix. Soll ich dir ‘n Glas Wasser bringen?

M. war jemand, der die Schwächen von anderen, selbst die seiner Freunde, niemals bedauern konnte. Für ihn waren sie immer nur eine Gelegenheit, sich triumphierend seiner eigenen Stärken zu vergewissern. Das war es wohl, was ihn auf Dauer unerträglich machte.

Abends: “Schießen Sie auf den Pianisten”.

Tote: Heinrich Schliemann, Karl Hubbuch, Howard Hawks.

Sonntag, 24. Dezember 2006 – Sechsuhrachtundfünfzig, zweikommaeins. Es dämmert. „In den kommenden Tagen auf den Bergen viel Sonne“.

Gestern mit Jürgen zuerst in die Gerbermühlstraße zu Turtlerent, kleinen Transporter mieten. Dann nach Wachenheim in der Pfalz, um die erstandenen Sitzgelegenheiten zu holen. Lustige Fahrt. Das Reden bei der Arbeit ist eigentlich immer entspannter als wenn man sich trifft, um nichts anderes zu tun als zu reden. Dann Martin-Luther-Straße, dann Niedereschbach, dann …

Dann: Nichts für die Welt.

Weiter für den Film:
Schminken
Wettbewerbe, Proben: Tanzwettbewerb, Jojo-Wettbewerb, Musikwettbewerb (Kronberg?), Tierkonkurrenz, Hunde, Dressur !!!, Quatschwettbewerb.
Zeitung lesen
Baden, waschen
Brücken, Züge
Grimassen schneiden
Rauchen
Strohhut
Reihen: Karten, Fenster, Gräber, Bilder, Autos, Bäume, Gläser mit Embryonen, aufgespießte Schmetterlinge
Spiegel
Krankenschwester

Nie daran denken, ob und wem es – außer uns – gefallen wird!

Godard: „Die Aussenseiterbande“ und „Eine verheiratete Frau“. Beide aus dem Jahr 1964, beide zum ersten Mal. Ganz unterschiedlich, fast gegensätzlich. Aber beide unglaublich sexy. Und eigentlich hat man sofort Lust, alles von Godard zu schauen. Na ja, nee, dieses blöde Selbstporträt, das ich vor zwei Tagen gesehen habe, brauch ich nicht noch mal.

Tot sind Vasco da Gama, Thackeray, Rudi Dutschke, Karl Dönitz, Louis Aragon.

Samstag, 23. Dezember 2006 – Vieruhrsechsunddreißig, fünfkommasechs Grad. Dunkel. Gegenüber im Haus ein einziger Lichtpunkt. Dann schalte ich meine Lampe aus, und im selben Augenblick ist auch dieser Punkt verschwunden. Alles schwarz.

Gestern den ganzen Morgen auf der Suche nach einem kleinen, einfachen Bildprogramm. Es soll wie Irfanview sein, nur halt für den Mac. Nach vier Stunden in den Foren stelle ich fest: Genau das suchen viele, genau das gibt es aber nicht. Aber iPhoto ist ein Krampf!

Frau Bollinger hat den neuen Grisham schicken lassen: The Innocent Man. Würde am liebsten gleich anfangen zu lesen. Geht aber nicht. Grausam hässlicher Umschlag. Fange schließlich doch an …

Abends in den Fernsehnachrichten: Einem japanischen Forscherteam ist es erstmals gelungen, einen Riesentintenfisch zu fangen und zu filmen. Gierig schaut man sich die Bilder an. Dann aber: „Kurz nach dem Fang erlag das Tier seinen Verletzungen.“ Verdammte Scheiße. Forscher? Killer!

Wenn sie seiner habhaft würden, sie würden den Herrgott an den Haken nehmen und verrecken lassen, bloß um ihn kurz vor eine Kamera zerren zu können.

Am selben Tag, wenn auch nicht im selben Jahr, starben der niederländische Flugzeugkonstrukteur Anton Fokker und sein russischer Kollege Andrej Nikolajewitsch Tupolew.

Freitag, 22. Dezember 2006 – Siebenuhrfünf, vierkommanull. Dunkel, aber hinter den Fenstern im Haus gegenüber glimmen schwache Lichter.

Tom Stephens, am Montag von der Polizei in Suffolk festgenommen, ist seit heute Nacht wieder frei. Stattdessen wurde ein Verfahren eröffnet gegen den 48-jährigen Gabelstapler -Fahrer Stephen Wright, der am Dienstag in seiner Wohnung mitten im Rotlicht-Viertel von Ipswich gefasst worden war. Die Polizei hat zahlreiche DNA-Spuren an den Tatorten gefunden, die auf ihn verweisen. Fast sehe es so aus, sagte ein Polizeisprecher, als ob Wright habe gefasst werden wollen. So ist es am Ende einer solchen Mordserie ja fast immer.
Aber was war das jetzt mit Tom Stephens, der ja durch seine Interviews eine Verhaftung nahezu erzwungen hat? Wichtigtuerei? Oder ein mit ihm abgesprochenes gezieltes Täuschungsmanöver der Polizei? Schließlich war er fünf Jahre lang Hilfspolizist. Stephens, so heißt es, habe noch kurz vor den Morden mit acht Prostituierten eine Party gefeiert – darunter alle fünf Mordopfer.

Obwohl eigentlich erst für den Januar angekündigt, sind die Taschenbücher der „Braut im Schnee“ schon gekommen. Nach Oberursel, um bei Bollinger 60 Exemplare zu signieren. Kaufe Merciers „Nachtzug nach Lissabon“. Zu Hause gleich den Anfang gelesen. Erinnert ein wenig an „Erklärt Pereira“ und an „Der Mann der Friseuse“.

Am 22.Dezember 1942 wurden in Plötzensee die Mitglieder der von den Nazis so genannten „Roten Kapelle“ ermordet: Hans Coppi (Foto), Harro Schulze-Boysen, Libertas Schulze-Boysen, Arvid Harnack, Elisabeth Schumacher, Kurt Schumacher.

Donnerstag, 21. Dezember 2006 – Vierzehnuhreins, achtkommasieben. Bedeckt aber hell.

Mal anfangen zu sammeln, was in den „C“-Film soll:
Rolltreppe, Rollband – Blicke
Auf einer Mauer balancierendes Mädchen
Fenstermenschen
Einsamer Strand, Frau, lungernde Männer. Überhaupt: lungern!
Zoo
Großwäscherei
Großküche
Rückseite der Welt: vom Zug aus gesehen, Rückseite Restaurant, Personaleingang, Hotel
Telefonseelsorge
Schilder, Aufschriften: „Reifen-Platt“, „Geist – Außenliegend“, Ärzte: „Mutsch & Dutsch“, „Wir stellen ein: niemanden“, „Nagelstudio“
Straßenhändler – Herdreiniger
Schaukel
Perfektionist – Amateur
Musiker
Stadion oder Rennbahn
Gräber, Friedhöfe
Strand, Schwimmbad
Brautmoden
Kirche
Exhibitionismus / Voyeurismus
Scherzartikel
Katzen
Tanz: Ballett, Tanzschule, Laufsteg, Dorfball, Bauchtanz, Striptease
Aus dem fahrenden AutoIn eine fahrende StraßenbahnVerkleidung, Camouflage
Rummel, Jahrmarkt, Zirkus
Banker mit Ente am Stab (vorher im Spielzeuggeschäft)
Kontraste
Abschiedsbriefe, Texte?
Psalm 23
Dorf, Ernte, Kühe, Sperlinge
Die Skyline
Bahnhof
Mit dem Rad, Fahrräder
Fluß, Schiffe, Kähne, Weite

Heute vor 71 Jahren starb Kurt Tucholsky in einem Krankenhaus in Göteburg an den Folgen einer Überdosis Schlaftabletten. Der letzte Brief, den er geschrieben hat, war an Arnold Zweig gerichtet. Dort schreibt Tucholsky über Deutschland: „Ich habe mit diesem Land, dessen Sprache ich so wenig wie möglich spreche, nichts mehr zu schaffen. Möge es verrecken … ich bin damit fertig.”

Mittwoch, 20. Dezember 2006 – Vierzehnuhrzehn, sechskommaneun. Grau.

Heute vor 38 Jahren wurde in Vallejo, nördlich von San Francisco, der 17-jährige David Faraday durch einen Kopfschuss getötet. Seine Freundin Betty Lou Jensen, die bei ihm war, versuchte wegzulaufen, wurde aber von fünf Schüssen in den Rücken niedergestreckt. Die beiden gelten als die ersten Opfer des sogenannten Zodiac-Killers, dessen Identität bis heute nicht geklärt wurde. Eine Verfilmung der Fälle durch David Fincher ist angekündigt.

Tot sind außerdem: John Steinbeck, Max Brod, Günter Eich und Arthur Rubinstein, dessen fast 1400 Seiten umfassende Autobiografie ich doch tatsächlich einmal durchgelesen habe.

Dienstag, 19. Dezember 2006 – Zwölfuhrachtundfünfzig, siebenkommanull. Bedeckt.

Heute morgen gegen 5.00 Uhr Ortszeit wurde in Ipswich ein 48jähriger Mann verhaftet, der nun ebenfalls im Verdacht steht, die fünf Prostituierten ermordet zu haben.

In der Uhrenabteilung des Kaufhauses ein Paar, offenkundig Russen. Sie hält auf dem Arm einen kleinen Hund, so einen wuscheligen mit langem Fell, wohl einen Yorkshire Terrier. Die beiden führen dem Tier Spieluhren vor. Je nachdem, wie er auf eine Melodie reagiert, entscheiden sie, ob die Uhr in die engere Auswahl kommt oder gleich zurück ins Regal.

Vor mir beim Bäcker drei Schüler – vierzehn, fünfzehn Jahre alt. Ihr Benehmen, ihre Bewegungen, die Laute, die sie von sich geben, machen es unmöglich, sie von Tieren zu unterscheiden.

Tote: Emily Bronte, Alois Alzheimer (begraben auf dem Frankfurter Hauptfriedhof) und Marcello Mastroianni.

Montag, 18. Dezember 2006 – Dreizehnuhrvierzehn, fünfkommasechs. Bedeckt.

Gestern kalte Tour, flach. Hinter dem Preungesheimer Gefängnis eine große Siedlung mit Mietwohnungen. Alles vermüllt, verkommen. Überall Scherben, Kippen, leere Fastfoodpackungen. Kommt hier die Strassenreinigung denn nie vorbei? Lungern überall so Typen rum. Klappern mit den Autoschlüsseln, setzen sich in den Wagen, fahren ein paar Meter, steigen wieder aus. Ständig eine Hand am Sack, die andere am Handy. Dunkelhäutige Familien auf den Parkplätzen. Es wird eingepackt, ausgepackt, große Plastiktüten, prall gefüllt, Möbel, Kartons, auf den Dachgepäckträger, in den Wagen, ins Haus, gibt immer was zu tun. Dann weht plötzlich eine dicke Marihuanawolke herüber. Schnell weg hier, bevor man noch Appetit bekommt.
Später in Petterweil stehen drei Wagen mit Warnblinkern auf der Strasse, die Motoren ausgeschaltet. Davor hocken Leute. Irgendwas ist passiert. Aber es ist alles ganz still. Da liegt was auf der Straße, ein Körper, ein Hund, ein Schäferhund, reglos. Ich schaue rasch weg, aber hab ja schon alles gesehen. Jemand hat seine Hand auf den Hals des Tieres gelegt. Ich sehe den Kopf, die Schnauze, die Zähne gebleckt. Die merkwürdige Ruhe macht alles noch trauriger. Dann das Hinweisschild ins Feld: „Geist – Außenliegend 4“.

Vorgestern auf der Autobahn vor uns ein LKW mit der Aufschrift: Toten Transport Norwegen.

Gerade die Nachricht, dass die Polizei heute Morgen gegen 7.20 Uhr Ortszeit in Trimley/Suffolk den mutmaßlichen Mörder der fünf Prostituierten von Ipswich festgenommen hat. Schnell auf die Seite des Guardian. Der Mann heißt Tom Stephens, ist 37 Jahre alt und arbeitet in einem Supermarkt. Die Straße, in der sein Wohnhaus liegt, heißt Jubilee Close. Am Wochenende sei ein Interview mit dem mutmaßlichen Mörder im Sunday Mirror erschienen. Also auf deren Seite. Dort ist er abgebildet. Schütteres Haar, Vollbart. „Ich bin ein Freund all dieser Mädchen, ich habe kein Anlibi.“ Als seine Ehe vor 18 Monaten geschieden wurde, habe er angefangen zu den Prostituierten zu gehen. Die Polizei habe ihn bereits viermal vernommen. Aber seine Aufgabe sei es gewesen, die Mädchen zu schützen.

Heute vor sieben Jahren starb der als linksliberal geltende Literaturwissenschaftler und zeitweilige Rektor der Universität Aachen Hans Schwerte. Es hat ihn nie gegeben. In Wirklichkeit hieß der Mann Hans E. Schneider, war Haupsturmführer und „Abteilungsleiter im Persönlichen Stab des Reichsführers SS“ Heinrich Himmler. Gegen Ende des Krieges löschte er mit Hilfe des Sicherheitsdienstes seine Identität aus. Seine Frau ließ ihren Mann für tot erklären und heiratete Hans Schwerte, wie sich Schneider nun nannte. Anfang der neunziger Jahre flog der Schwindel nach hartnäckigen Recherchen einiger Studierender und des niederländischen Fernsehens auf. Schneider: „Ich habe mich doch selbst entnazifiziert.“

Sonntag, 17. Dezember 2006 – Zehnuhrvierzig, vierkommadrei. Gestern Abend auf der Autobahn dieser unablässige Regen. Jetzt alles blauweiß und sonnig.

„Sans soleil“ geschaut. Der Text nervt schon – zu theoretisch, zu abstrakt. Verplappert die schönen Bilder. Das machen wir besser. Wenn wir überhaupt irgendwas machen.Und … was gibt’s Neues? – Nichts. Zum Glück.

Du bist aber heute chic. – Ach, das ist nur äußerlich.

Himmel und Hölle: Simón Bolivar, Kaspar Hauser, Leopold II., Edwin Erich Dwinger, Günther Anders.

Freitag, 15. Dezember 2006 – Sechsuhrzwei, dreikommasieben Grad. Dunkel.

Kann mich nicht erinnern, je einen Tag erlebt zu haben, der zugleich so schön und so traurig war wie der gestrige.

Heute vor 116 Jahren haben Polizisten des Standing-Rock-Reservats in North Dakota den Stammeshäuptling Tatanka Iyotanka, genannt Sitting Bull, erschossen und anschließend seine Leiche verstümmelt. Donnerstag, 14. Dezember 2006 – Neunuhrdreiundfünfzig, sechskommasechs Grad. Grau. Sonne im Kopf.

Wie gerne ich mich beschenken lasse. Heute zum Beispiel eine Spieluhr mit einer Melodie aus der „Zauberflöte“. Oh, welch Wunder: Chris Markers „Sans soleil“ auf DVD. Die Violinsonaten von Bartok und Schostakowitsch mit Oistrach und Richter. Und die größte Überraschung: der alte Vierteiler mit der „Schatzinsel“. Das Blödeste, was an einem solchen Tag passieren kann: Dass Tchibo eine Mail schickt und gratuliert. Verdammt, wo haben die das Datum her? Atillas Seite wird immer besser. Die Einträge kriegen Drive, werden federnd, dynamisch, selbstironisch. Selbst wenn er nur eine Zeile schreibt, gelingen ihm kleine, sprachliche Pointen. Man hat den Eindruck, er lebt jeden Tag 48 Stunden. Zeitung lesen geht eigentlich schon nicht mehr richtig. Wie, lesen, ohne zu klicken, zu scrollen, zu tippen? Und versucht man es doch mal wieder, bleibt man meist enttäuscht zurück.

Gibt auch Tote: Carl Philipp Emanuel Bach, Friedrich Dürrenmatt, Johannes Fürst von Thurn und Taxis.

Mittwoch, 13. Dezember 2006 – Fünfuhrzweiunddreißig, fünfkommavier.

Im Traum begegnet mir der große Verleger B. Er erzählt, dass er jetzt, da er in Rente sei, endlich einmal etwas ganz anderes habe machen wollen, etwas, dass nichts, aber auch gar nichts mit seinem Beruf zu tun habe. Etwas, bei dem er in Bewegung bleibe, viel an der Luft sei und von den Eitelkeiten seiner einstigen Branche so weit wie möglich entfernt. Er trage jetzt, sagt er, Werbezettel für eine Supermarktkette aus. Und schaut mich dabei an, lachend und so zufrieden wie ich ihn nie zuvor gesehen habe.

Um 15.40 Blick auf den Kalender. Oh Gott, vor zwanzig Minuten hätte ich bereits bei dieser Benefizaktion auf dem Römerberg sein sollen. Schnell aufs Rad und in die Stadt. Friedberger runter, Bürgersteige, rote Ampeln, Einbahnstraßen, Fußgängerzone, alles egal, einfach drüber und durch. Nach zehn Minuten bin ich da. Nützt bloß nichts, da ich nicht weiß, wohin. Also in die Tourist-Information, nachfragen, telefonieren, wieder nachfragen. Sehr nett, die Damen dort. Absolut geduldig. Dann holt mich ein Karussell-Besitzer ab. Aber ich wollte doch Würstchen braten … Na, nun kommen Sie erst mal mit. Das Karussell steht direkt an der Paulskirche, bisschen blöde Ecke hier, sagt der Mann. Dann drückt er mir einen Stapel Plastikchips in die Hand. Fünf Minuten geht gar nichts, niemand will Karussell fahren. Stattdessen kommen Journalistinnen, die fotografieren und Fragen stellen. So wird das hier nie was. Also spreche ich die Leute an: „Wollen Sie Karussell fahren für einen guten Zweck“. Misstrauische Blicke: Was kostn das? Sindse och keen Betrücher? Immerhin, nach einer Stunde gut 90 Euro kassiert. Aber am meisten beeindruckt hat mich der Besitzer, so gelassen, freundlich, und so stolz auf sein schönes Mary-go-round.

Tot sind Samuel Johnson, Friedrich Hebbel, Kandinsky, Grandma Moses.

Dienstag, 12. Dezember 2006 – Elfuhrachtunddreißig, siebenkommavier. Bedeckt. Was denn jetzt? Die Sonne … Kommt mal wieder kein heißes Wasser aus der Leitung. Dafür läuft die erste mit iTunes erzeugte Vierstundendiskothek auf dem Apple. Und kommt aus den B&W-Lautsprechern. Geht doch!

Ingo ruft an, hat mit dem „Kleinen Fernsehspiel“ telefoniert wegen „Tage und Nächte“. Sieht nicht so schlecht aus. Aber Cyril ist irgendwo in Moskau … und nicht zu erreichen. Cyriiiil, verdammt, ich will mit Dir reden!

Mal irgendwas schreiben, was nur aus schönen Worten besteht: Apfelbaumwiese, Sommernachtstraum, Holunderblüten, Lokomotive, Frühling, tanzende Paare, warme Steine, Wasser, barfuß, Straßenmusikant, Bandoneon, Platane, Mädchen, Schlaf, Friedhof … Die schönste unter den Schönen aber ist die: Mirabelle.

Es geht auch anders – Kopfmüll, Wortmüll: „Einfache Automatisierung mit dem Automator: Sie können Aktionen hierher bewegen oder hinzufügen, um ihren Arbeitsablauf zu erstellen.“ Solche Sätze müssten von der Autokorrektur eigentlich automatisch gelöscht werden.

Tot sind: Yasujiro Ozu, Clifton Chenier, Gyula Trebitsch.

Sonntag, 10. Dezember 2006 – Fünfuhrzwölf, sechskommasechs. Dunkel. Ok, bin mal kurz wieder da. Schwere Kämpfe mit dem Apfel. Ja, ja, sieht schön aus, das Gerät. Aber die Schrift auf dem Bildschirm gefällt mir gar nicht. Verwaschen, zerfranst. Kopfschmerzschrift. Lässt sich auch nicht besser einstellen.Schwere Kämpfe mit t-mobile. Nach drei Stunden hat es Atilla endlich geschafft, ins Netz zu kommen. Dann noch das Textprogramm. Aber nein, weder mit NeoOffice noch mit Pages komme ich zurecht; ich brauche mein altes Word wieder. Wie öde, was für piefige Sorgen. Und draußen regnet es.Zum Glück gibt’s das MacUser-Forum. Idee für ein Filmprojekt. Arbeitstitel „C“. Mehr zu verraten wäre zu viel. Mal gucken, wer dafür zu gewinnen ist. Würde jedenfalls alles ermöglichen und so gut wie nichts kosten. Unbedingt mal wieder schauen: „Sans Soleil“ von Chris Marker und „Step Across the Border“ mit Fred Frith. Wieder Paiers Aufnahme mit dem Radio String Quartett. Ob die mitmachen würden bei „C“? Oder gleich Guntram Freytag fragen … Ja, ja, ich weiß, das alles ist kryptisch. Aber egal …Überall Artikel zu dieser einmaligen Neuauflage von „Tempo“. Aber schon die Reflexe darauf sind so muffig, dass man das Ding selbst gar nicht in die Hände nehmen mag. Perdu.

Tot: Alfred Nobel, Otis Redding, Jascha Heifetz.

Donnerstag, 7. Dezember 2006 – Neunuhrneununddreißig, siebenkommavier Grad.

Blauer Himmel, weiß gescheckt. Warten auf den Apfel. Im Aldi-Markt auf der Berger. Der Geschäftsführer ist ein großer, junger Typ. Gewitzt, immer gut gelaunt, dunkelhaarig, vielleicht türkischstämmig. Er schiebt einen Hubwagen mit Waren durch die engen Gänge. Eine junge Frau kommt auf ihn zu: „Darf ich Sie kurz was fragen?“ – Er schaut sie an, lächelt und sagt: „Ja, ich will!“ – Die Frau, nur kurz irritiert, erwidert: „Dann muss ich mir jetzt nur noch eine gute Frage für Ihre Antwort einfallen lassen.“

Mit Jürgen in die Stalburg. Vor uns an der Kasse Eva Demski: „Es ist eine Schande, dass wir in der selben Stadt wohnen, uns aber nie sehen.“ Echt ewig her. Sie wird überhaupt nicht älter. Herl führt durch das Programm, verschmitzt, charmant, mit fast schüchterner Souveränität. Einmal beugt sich ein Mann zu mir rüber und sagt: „Dann will ich mich mal kurz vorstellen: Pit Knorr“. Er reicht mir die Hand. Nett, ich kannte ihn wirklich nicht. Wie gut die beiden Schauspieler das lesen: Live ist das alles noch besser als auf CD. Der Pianist Thorsten Larbig spricht mich an, erzählt, dass wir quasi Nachbarn gewesen seien. Wieso quasi? Weil er als Student in der Savignystraße im Vorderhaus gewohnt hat, als ich im Hinterhaus als Lektor gearbeitet habe. Er sei auf einigen unserer Sommerfeste gewesen. Später an die Theke, Schnaps trinken mit Herl. Plaudern mit Frank Wolff, der so bescheiden und freundlich ist. Er wird jetzt von Jutta Tempelmann vertreten. Gute Koalitionen sind das. Endlich kommt Demski dazu. Wir reden über Lesereisen usw. Sie sagt, sie rufe in Eisenach an, um mir eine Lesung auf der Wartburg zu vermitteln. Das wäre wirklich scharf. Gegen Mitternacht stehen wir wieder vor der Tür. Ein guter Ort, die Stalburg, macht gute Laune. Eine Burg halt. Ein Kraftwerk. Tot sind Clara Haskil, Thornton Wilder und Nicolas Born.

Mittwoch, 6. Dezember 2006 – Zwölfuhrzehn, elfkommafünf. Bedeckt.

Am Montag um 7.20 Uhr mit dem ICE nach Dresden. Gleich in die Ausstellung in den Brühlschen Terrassen: „Von Monet bis Mondrian“, das Schönste, was ich seit langem gesehen habe – eine „Dame in Rosa“ von Manet, die ich nicht einmal reproduziert kannte, ein französischer Tennisplatz von Liebermann … Dix, Picasso, Corinth, Trübner … Alles Glück der Erde hier versammelt. Die gute Laune, die das macht, wird Tage halten.
Am Abend in die Neustadt, Buchhandlung Kommissariat, unglaublich nett, familiär, engagiert. Eine Dame mit Schlips, sieht aus wie Gertrude Stein. Dann in die „Scheune“, politisiert, spät ins Bett. Das Hotel, ein christlich geführtes Haus, ohne den ekelhaften Wellness-Plunder der anderen Ketten: Martha Hospiz. Man sieht sich wieder.
Morgens am Neustädter Bahnhof dann eine seltsame Szene mit einem teuer, aber unglaublich geschmacklos gekleideten Russen (rosa Seidenhemd, breite rosa Seidenkrawatte, Nadelstreifenhose, kackgelber Ledermantel mit riesigem Pelzbesatz) und seiner Frau. Keine Zeit, sie zu erzählen. Auf der Rückfahrt zum x-ten Mal Ellroys „Schwarze Dahlie“ und Schuberts Klaviersonate Nr. 21 mit Svjatoslav Richter. Ein singender, schreiender Engländer, ein altes schwerhöriges Paar, das Kreuzworträtsel löst, ein bayerischer Geschäftsmann, der die Anzeigendame der FAZ zusammenbrüllt.

Kann sein, dass die bevorstehende Umstellung auf den Apple die Geisterbahn für einige Zeit ins Schlingern bringt. Oder gar zum Halten.
Tote: Monet, Leadbelly, Franz Fanon, Peter Lorenz, Gerhard Löwenthal, Hans Hotter, Charly Gaul, Hans Dieter Hüsch.

Montag, 4. Dezember 2006 – Dreiuhrzweiunddreißig, achtkommasieben. Wolken, Sterne, fetter Mond. Wieder Schostakowitschs Elfte.

Ja was, kennt man sich denn wirklich so wenig? Weiß man wirklich so gar nicht, welch verheerenden Eindruck man macht. Und selbst bei jenen, die einen doch ein wenig kennen …

Eine Woche nachdem er von der Polizei erschossen wurde, ist Sean Bell auf dem Nassau Knolls Cemetery auf Long Island beerdigt worden. Seine Braut kollabierte am Grab. Trini Wright, eine der Tänzerinnen des Kalua Strip-Clubs, wo Bell mit zwei Freunden seinen Junggesellenabschied gefeiert hatte, schickte einen Kranz. Die Trauernden sangen am Grab: „And when the battle’s over / We shall wear a crown!” Was macht eigentlich Natascha Kampusch? Ah, hier ist eine Meldung: Sie wehrt sich gegen das erste Buch („Girl in the Cellar – The Natscha Kampusch Story“), das über sie erschienen ist. Es enthalte nur Lügen, sie habe nie mit den Autoren gesprochen. Der englische Journalist Allan Hall, einer der beiden Verfasser, kam aufgrund seiner Recherchen über den Entführungsfall zu dem Schluss: “Die österreichische Polizei würde nicht einmal eine Bierflasche in einer Brauerei finden.“ Todestag von Adolph Kolping, Georg von Rauch, Hannah Arendt, Benjamin Britten, Frank Zappa.

Sonntag, 3. Dezember 2006 – Sechzehnuhrneun. Dreizehnkommazwei Grad. Schnelle Wolken.

„Seit ich mein Grab sah, will ich nichts als leben.“ (Kleist, Der Prinz von Homburg) „Auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein.“ (Walter Benjamin, Geschichtsphilosophische Thesen) Apple gekauft.

Im Fall der Schießerei des New York Police Department im Stadtteil Queens versucht die Polizei nun offenbar die Opfer zu Verdächtigen zu machen. Sie dringt in Wohnungen junger Schwarzer ein, verhaftet sie unter Vorwänden und fragt sie dann nach ihren Beziehungen zu dem erschossenen Sean Bell und seinen beiden schwerverletzten Freunden. Angeblich befinde man sich auf der Suche nach einem vierten Mann, der den Schauplatz der Schießerei fluchtartig verlassen habe. “If you don’t tell us what we want to hear, you know, you can get five years.” Das soll einer der Polizisten zu der 26-jährigen LaToya Smith gesagt haben, als man ihre Wohnungstür eingetreten und sie samt ihrer Familie auf die Wache geschleppt hatte.

Gestern am Nachmittag zwei Stunden durch die dunkle Wetterau. Der roten Sonne entgegen. Schwarze Vögel überall.

Am Abend auf BRalpha den ersten Teil der alten „Schatzinsel“-Verfilmung. Kein anderer Film hat meine Kinderphantasien so auf Trab gehalten. Paula: „Und das hast du mit elf Jahren schon geschaut? Das ist doch viel zu spannend“. – Wieso, Harry Potter ist doch viel gruseliger. – „Nein, da sieht man ja, dass das alles am Computer gemacht wurde. Hier denkt man, es ist alles echt.“ Tot ist heute Robert Louis Stevenson.

Freitag, 1. Dezember 2006 – Neunuhrneununddreißig, siebenkommavier. Bedeckt.

Gestern: Morgens in den HR. Kurzes Interview mit Daniela Baumeister zur Winter-CD. Dann Tengelmann. Dann öde. Dann immer wieder Klaus Paier gehört. Dann hin und her mit Herl wegen der Grafikdatei mit dem CD-Cover. Immer dieser Apple-Nerv. Dann Hubschrauber über der Stadt. Dann Anruf Christiane, dass sie im Stau steckt: Uefa-Cup und Demonstration, alles dicht, kein Wunder. Dann Anruf Atilla, dass er noch beim Zahnarzt hockt. Dann Anruf Jörg, dass er im Stau steckt.

Mit Atilla und Jörg „Da Franco“, kleines italienisches Restaurant in der Saalburgstraße, ganz unprätentiös. Gleich angenehme Stimmung: lässig, viele Abschweifungen, bisschen verzappelt, trotzdem eine gute Spannung. Fühle mich sehr wohl. Stille Hoffnung, dass man mit solchen Freunden nie ganz vor die Hunde gehen kann.
Wir verabreden, irgendwann im Januar oder Februar ins Studio zu gehen, um „Ein kleiner Abend Glück“ aufzunehmen. Ab und zu meldet sich Atis Mobiltelefon, Stefan Müller drängelt; die beiden wollen noch gemeinsam mit Charlotte an dem Johnny-Cash-Song fummeln.
Bin völlig verblüfft, mit welch sorgender Aufmerksamkeit Jörg die „Geisterbahn“ liest. Ob ich mir eigentlich bewusst sei, was ich da mache. Ob mir klar sei, wie nah meine Formulierung von den „ewigen Japanern“ am „ewigen Juden“ sei … Ich wundere mich, dass ein paarhundert Leute jeden Tag lesen, was ich hier schreibe, ohne mich im Gästebuch zu beschimpfen. „Die trauen sich nicht“, sagt Jörg. – Ich schüchtere also die Leser ein? – „Ja“. – Oh Mann.
Ati sagt, ich soll mir einen Apple kaufen.

Google hat ein rotes Schleifchen. Ja, stimmt, ist Welt-Aids-Tag.

Heute vor zwei Jahren starb eine der windigsten Gestalten des an windigen Gestalten nicht gerade armen europäischen Adels: Bernhard Leopold Friedrich Eberhard Julius Kurt Karl Gottfried Peter Prinz zur Lippe-Biesterfeld, besser bekannt als Prinz Bernhard der Niederlande.