Geisterbahn

Dezember 2015

Donnerstag, 31. Dezember 2015 – Zwölfuhrnullnull, vierkommavier Grad, Dauerniesel. In die Tonne mit diesem Scheißjahr.

„Die Depression ist eine schwarze Dame. Wenn sie an Deine Tür klopft, bitte sie an Deinen Tisch und frage sie, was sie Dir zu sagen hat.“ C. G. Jung soll das gesagt haben.

Ich habe nie einen Song von Motörhead gehört, ich wusste nichts über Lemmy Kilmister. Nun ist der Mann tot und die Süddeutsche Zeitung bringt auf ihrer Heimseite noch einmal ein Gespräch, das Alexander Gorkow 2008 mit Mister Kilmister geführt hat. Und man muss sagen, wenn diesem Mann all diese Sätze wirklich in diesem Moment eingefallen oder auch nur wieder eingefallen sind, dann war er vielleicht noch kein großer, aber allemal ein freier Geist. Befragt nach seiner Moral antwortet er: „Haltet euch fern von den Idioten … Die Regel lautet: acht von zehn … Acht Idioten an einem guten Tag. Sonst: neun. An einem schlechten Tag triffst du zehn Leute und einer wie der andere ist ein kompletter Vollidiot.“
Was doch sehr an Gremlizas Goldene Regel erinnert: „In jedem Volk – wie in jedem Kollektiv, bei den Autofahrern, den Briefmarkensammlern, Feinschmeckern, Veganern und so weiter – bilden die Arschlöcher die Mehrheit.“

Aber war es nicht Walter Brennan, der in „Bad Day at Black Rock“ etwas in dieser Art gesagt hat: „Es gibt so viele Schlaumeier hier, dass ich froh bin, zu den Idioten zu gehören.“

Geburtstag hätte heute Nicolaus Born, der freilich auch schon lange tot ist: „Reiche haben mich gespeist / als ich besoffen vor Elend / in die Bungalows einfiel. / …/ Arme aber haben mich geschunden / Arme haben mich betrogen und vermurkst / teilten nicht ihr Brot mit mir“ („Seitensprung“)

Montag, 28. Dezember 2015 – Neunuhrfünfundfünfzig, vierkommaneun Grad. Der wärmste Dezember seit Beginn der Wetteraufzeichnung.

Selbst im Freundeskreis ist es unangenehm, auch nur in der Nähe zu stehen, wenn jemand sein Innerstes nach außen kehrt. Bekenntnisse lösen bei jenen, die sie über sich ergehen lassen müssen, fast notgedrungen Unbehagen aus und sind somit schon aus Gründen der Höflichkeit zu unterlassen. Unerträglich wird es, wenn jemand öffentlich über seinen persönlichen Glauben oder Aberglauben spricht – mithin über etwas, über das vernünftig sich nicht sprechen lässt -, wie jetzt gleich zweifach und großformatig in der FAZ geschehen, wo der Kollege Mosebach und die Kollegin Lewitscharoff dem Publikum ihre religiösen Hinfälligkeiten unterbreitet haben. Beim Lesen dieser Bekenntnisse begreift man wieder, warum die „Pein“ dem Wort „peinlich“ innewohnt.

„Wahn ist der Ersatz für den Traum, daß die Menschheit die Welt menschlich einrichte, den die Welt der Menschheit hartnäckig austreibt.“ (Theodor W. Adorno, Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, 1959)

Vor elf Jahren starb Susan Sontag.